Nichts Verbergen

Die NASA Affaire (siehe auch Glossar) betrifft nahezu niemanden, weil keiner etwas zu verbergen hat. Nur Touristen (siehe auch Glossar) haben etwas zu verbergen, und die sollten natürlich auch überwacht werden. Neulich ist mir aber aufgefallen, dass offenbar auch ganz normale Menschen etwas zu verbergen haben …

 

Reihenhaus

Links: die Bewohner haben einiges zu verbergen. Rechts: keine Bewohner.

 

Das Argument “ich habe nichts zu verbergen” kam mir immer schon irgenwie dümmlich naiv vor. Mein Problem: ich konnte bisher nicht genau erklären warum. Ich hatte einfach keine Gegenargumente. Jetzt schon. Dazu muss ich ein klein wenig  ausholen. Aber ich kriege weiter unten die Kurve wieder. Versprochen.

Ich komme öfter an einer Neubausiedlung vorbei. Dort sind wunderbar moderne Reihenhäuser im Bauhaus-Stil entstanden. Korrekter ausgedrückt sind es furchtbar schlecht gemachte Bauhaus-Imitationen mit diversen Defiziten.

So hat man bei den Häusern zum Beispiel den Gedanken der Integration der Natur in den Wohnraum aus Kostengründen weggelassen. Begrünte Dachterasse: Fehlanzeige. Die Natur besteht aus einem 1.5 Meter Rasen-Randstreifen rund um das Haus. Da die Rasenfläche deswegen ziemlich spärlich ausfiel, hatte man sich entschlossen die Hecke wegzulassen. Schließlich muss neben dem Biertisch und dem Grill auch noch die Bierbank irgendwie in den Garten hineingepresst werden können. Mit Hecke ginge das nicht. Darum halt nur der umlaufende Rasen-Randstreifen und ein Maschendrahtzaun, weil auch ein Holz- oder Metallzaun zu viel Platz gekostet hätte.

Um trotzdem die Natur irgendwie in den Innenraum hineinzubekommen, hatte man sich dann entschieden das Wohnzimmer mit viel Glasflächen auszustatten. Somit kann man dann wenigstens vom Sofa aus auf die Natur hinausblicken, und die Natur kann ihrerseits in das Wohnzimmer hineinblicken.

Große Fenster und Türen waren allein schon deswegen sinnvoll, weil das moderne Wohnzimmer nicht nur Wohnbereich, sondern auch Ess- und Kochbereich ist. Eigentlich spielt sich heutzutage das ganze Leben nur noch im Wohnzimmer ab. Und wenn es am Wochenende schön ist, dann kann man jederzeit aus dem Wohnbereich in den Gartenbereich hinaustreten und den Kindern dabei zusehen wie sie im Garten Fußball spielen, Radfahren, oder was Kinder eben so machen.

Interessant war nun der Einzugstermin zu beobachten. Als erstes zog der Kugelgrill und der Biertisch in den Garten ein – Umzug ist anstrengend, da muss man sich zwischendurch beim Grillen im Garten erholen. Eine Woche später trafen die ersten Umzugskartons ein. Schließlich trafen die Menschen und ihre Möbel ein. Ab dann sah nicht mehr nur die Natur in den Wohnbereich hinein, es sahen auch glückliche Menschen vom Sofa in die Natur hinaus. Eine Woche lang glückliches hinein- und hinausschauen von Menschen und Natur.

Dann muss irgendetwas vorgefallen sein. Ich weiß nicht was. Ich kann nur spekulieren. Die neuen Bewohner stellten Vorrichtungen auf, die den Blick der Natur in den Wohnbereich hinein blockierten. Zuerst ein provisorischer Pavillon, dann einige Stoffbahnen, und schließlich eine paar Strohmatten. Schließlich wurde eine Hecke gepflanzt. Doch junge Hecken haben Lücken, durch die die Natur hindurchlugen kann. Zusätzlich also noch ein Bretterzaun davor, und schon ist Schluss mit dem hinaus und hinein von Blicken und Natur.

Ich glaube es ist folgendes passiert: die neuen Bewohner saßen die erste Woche lang ungezwungen, gemütlich am Frühstückstisch. Der Papa ganz leger nur in der Pyjamahose, zeitunglesend. Die Mama ins iPad vertieft das Wetter prüfend. Die beiden Kinder Blödsinn machend und Nuss-Nougat-Creme essend mit verschmierten Mündern. Eine Woche hatte gereicht, bis dieses Bild in der Nachbarschaft die Runde gemacht hatte.

Haben sie den Herrn Müller schon gesehen? Der ist ja ein eher verlotterter Typ. Der rennt den ganzen Tag nur in Unterwäsche herum.

Ja und erst die Mutter. Die spricht nicht mal mit ihren Kindern und surft dauernd auf wer weiß was für Seiten im Internet

Die armen Kinder. Total vernachlässigt. Stopfen den ganzen Tag nur ungesundes Zeug in sich rein.

Zurück zum Thema.

So ist das mit Leuten, die nichts zu verbergen haben. Da kann sich jeder Beobachter die Aspekte herauspicken, die er besonders interessant findet. Leider weiß man vorher nie, welche Aspekte sich die Beobachter herauspicken werden. Leider weiß man auch nicht, welche positiven Aspekte die Beobachter ignorieren werden. Und so entsteht plötzlich ein reduziertes Bild von einem selbst, das so gar nicht dem Image entspricht, an dem man täglich mühsam arbeitet.

Es ist schon verrückt: bei unseren Wohnungen und Häusern tun wir alles, um unser tägliches Leben vor neugierigen Blicken zu schützen. Doch bei unserem täglichen Leben im Internet da haben wir rein gar nichts zu verbergen. Durch das Gerede der Nachbarn fühlen wir unser Image bedroht, doch wir fürchten keinen Image-Schaden durch das Daten-Geschnüffle der Konzerne und Dienste. Das Gerede der Nachbarn bekommen wir wenigstens über Umwege mit, und können korrigierend eingreifen. Das Bild, das die Konzerne und Dienste von uns zeichnen, bleibt uns verborgen. Es stört uns nicht, weil wir nichts davon wissen.

Dank Herrn Snowden wissen wir jetzt zumindest, welche Informationen sich die Dienste so aus unserem Informationsstrom herauspicken. Das Wort “herauspicken” ist dabei vollkommen falsch gewählt, denn die Dienste nehmen restlos alle Daten die sie in die Finger bekommen.

Um beim obigen Reihenhaus-Beispiel zu bleiben: die Wohnzimmer-Szenen reichen den Diensten nicht – sie wollen auch Einblick in Bad und WC. Bevorzugt gefragt sind Fotos in Unterhose und mit Nuss-Nougat-Creme verschmierten Mündern. Bildlich gesprochen lungert da dauernd jemand an Ihrem Zaun herum, und schießt mit seiner Kamera alles ab, was ihm vor die Linse kommt. So muß man sich das vorstellen.

Daher mein Fazit: zeige mir Dein Reihenhaus, und ich beweise Dir, dass Du vieles zu verbergen hast.